[ Home ] [ Zurück ]

Zum Thema Lehrerinnen-Mord durch einen Schüler in Meißen:
Schreckensbild belastet Schüler bis heute

Prozess wegen Mordes an Lehrerin in Meißen begann / Unauffälliger Angeklagter

Von Bernhard Honnigfort (Dresden)

Es war ein Verbrechen, wie es noch nicht vorgekommen war in der 
Geschichte der Bundesrepublik: Am 9. November 1999 erstach ein 15-jähriger 
Schüler aus Meißen seine Lehrerin vor den Augen der Mitschüler. Vor dem 
Landgericht Dresden hat am Dienstag der nichtöffentliche Prozess gegen den 
Jungen begonnen.

Die meisten der 28 Mitschüler der Klasse 9.1 des Meißner Gymnasiums 
Franziskaneum leiden heute noch unter dem, was sie vor einem halben Jahr 
mitansehen mussten. Ein Drittel der Schüler sei schwer, ein weiteres Drittel 
mittelschwer traumatisiert, sagte der Psychologe Georg Pieper am Dienstag im 
Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.

Viele würden heute noch von Bildern und Erinnerungen an die 
Schreckenstat überfallen, litten unter Konzentrationsschwierigkeiten und 
Ängsten. Manche zuckten schon zusammen, wenn jemand abrupt eine Tür öffne. Es 
gab krasse Leistungseinbrüche und Verschlechterungen unter den Kindern, sagte 
Pieper. Seit dem Messerattentat kümmert sich der Marburger Experte für Trauma- 
und Stressbewältigung im Auftrag des Dresdner Kultusministeriums um die Klasse 
und einige Lehrer. Pieper gilt als erfahren auf diesem Gebiet: Er betreute auch 
die Unfallopfer der Eisenbahnkatastrophe von Eschede.

Die Mitschüler rätselten immer noch, wie es zu dem Messerattentat 
kommen konnte. Keiner versteht das, erzählt Pieper. Der Angeklagte Andreas S. 
sei ein beliebter und liebenswerter Schüler gewesen. Er stamme aus einem 
intakten Elternhaus und galt als unauffälliger und umgänglicher Mensch. Er sei 
in die Klasse integriert gewesen und habe Freunde gehabt, die heute völlig 
verunsichert seien.

Andreas S. habe zwar vor der Tat dunkle Andeutungen gemacht. Seine 
Freunde hätten das damals jedoch als Sprüche abgetan. Keiner hat dem das 
zugetraut. Die Staatsanwaltschaft hatte zwar Ermittlungen gegen 13 Mitschüler 
wegen des Verdachts der Mitwissenschaft aufgenommen, sie aber wieder 
eingestellt, weil es keine Anhaltspunkte gegeben habe.

Wegen des jungendlichen Alters des Angeklagten findet die Verhandlung 
unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor der Großen Jugendkammer des Dresdner 
Landgerichts statt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Jungen heimtückischen Mord 
vor. Bei einem Schuldspruch drohen ihm zehn Jahre Jugendhaft. Er sei am Morgen 
des 9. November um acht Uhr in den Klassenraum gelaufen und habe die arglose 
Geschichts- und Deutschlehrerin Sigrun Leuteritz mit zwei Küchenmessern in Hals 
und Brust niedergestochen. Die 44-Jährige schleppte sich nach 22 Messerstichen 
aus dem Raum und starb dann im Flur in den Armen von Kollegen an einer 
Herzverletzung. Dreieinhalb Stunden später nahm eine Zivilstreife den Jungen in 
der Nähe der elterlichen Wohnung in Neusörnewitz bei Meißen fest. Er konnte 
identifiziert werden, weil er einen Rucksack mit seinem Schülerausweis auf der 
Flucht verloren hatte. Laut Polizei gestand der Junge das Verbrechen. Als Motiv 
habe er Hass auf die Lehrerin angegeben.

Der Prozess ist auf zunächst fünf Verhandlungstage angesetzt. Es sollen 
zwei Sachverständige und 18 Zeugen, darunter einige Mitschüler, gehört werden. 
Das Urteil wird am 17. Mai erwartet.



Das Jugendstrafrecht

Dresden (dpa). Im Fall Andreas S. wird das Jugendstrafrecht angewendet. 
Im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht ist das Strafmaß für Jugendliche deutlich 
niedriger. Im Falle einer Verurteilung wegen Mordes beträgt die Höchststrafe 
zehn Jahre. Bei erwachsenen Tätern steht auf Mord lebenslange Haft. Im 
Jugendstrafrecht steht anders als im Erwachsenenstrafrecht der Erziehungsgedanke 
im Vordergrund. Dafür können viele so genannte Erziehungsmaßregeln und 
Zuchtmittel verhängt werden. Das reicht von Weisungen über Verwarnungen bis hin 
zu Auflagen und Jugendarrest. Solches gilt nicht als Strafe im Sinne einer 
Vorstrafe bei Erwachsenen. Ein weitaus schärferes Mittel ist die Jugendstrafe, 
die Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt bedeutet.


[ zum Seitenanfang ]